Bittersüß - Marcus Watolla

Bittersüß

Leseprobe:
Titel: Bittersüß Autor: Marcus Watolla Erweiterte Neuauflage März 2021 Covermotiv: Andreas Hermsdorf / pixelio.de © Edition Paashaas Verlag, Hattingen www.verlag–epv.de
Printausgabe: ISBN: 978-3-96174-083-3
Verhexte Technik
Als ich mir ein neues Handy mit Sprachfunktion kaufte, war ich stolz. Ich programmierte es, spielte daran herum und verbrachte fast einen ganzen Tag damit. Abends, als meine Freunde vorbeikamen, wollte ich es vorführen.
Ich nahm das Gerät und sprach: „Verbinde mich mit meiner Mutter.“
„Verbinden mit Jutta“, antwortete es.
Jutta war meine Ex-Freundin. Sie hatte echt Haare auf den Zähnen, daher war auch unsere Beziehung vor knapp einem Monat böse auseinander gegangen.
„Nein!“, rief ich, „Kommando zurück!“
„Freizeichen bei Jutta“, sprach das Handy.
„Ja, hallo?“, meldete sie sich am anderen Ende der Leitung.
„Äh ... ja ... Hallo, Jutta“, stammelte ich, „... hier ist Dirk ... ich ... ich ... äh ...“
„Du hast ja Nerven, hier wieder anzurufen“, keifte sie. „Bist du besoffen?“
„Äh ... nein ... falsch verbunden!“
Ich legte auf. Meine Freunde krümmten sich vor Lachen.
„Jetzt aber“, sagte ich und ging noch näher an das Mikrofon heran. Sprach überdeutlich: „Verbinde mich mit Heinrich.“
„Verbinden mit Polizei“, bestätigte das Gerät.
„Nein!“, rief ich panisch, doch es war schon zu spät.
„Der Notruf der Polizei in Gladbeck!“, meldete sich eine sonore Stimme.
„Ich habe mich verwählt“, stammelte ich. „Ich wollte eigentlich jemand ganz anderes haben ...“
„Junger Mann“, schimpfte der Polizist, „ich sehe Ihre Nummer im Display. Das kann teuer werden!“
Kleinlaut entschuldigte ich mich und legte abermals auf. Resigniert sah ich meine Freunde an.
„Versuche es doch mal mit etwas Leichtem“, sagte mein Kumpel Eddy. Er streckte die Hand aus, nahm mein Handy und sprach: „Verbinde mich mit Zuhause.“
„Verbinden mit Zuhause“, antwortete das Handy. „Freizeichen bei Zuhause.“
Schon klingelte mein Festnetzgerät. Eddy legte auf, sah mich grinsend an.
„So geht das, du Schlumpf!“
Er gab mir das Telefon zurück. Jetzt wollte ich es wissen.
„Verbinde mich mit Eddy.“
„Verbinden mit Jutta!“, bestätigte es.
Mir standen die Haare zu Berge.
„Nein!“, schrie ich. „Auflegen! Stopp!“
„Ja? Hallo?“, meldete sich Jutta am anderen Ende der Leitung.
„Äh ... ja ... hallo ... ich ... ich bin's noch mal ...“
„Was willst du, du Irrer??“, keifte sie. „Ich liebe dich nicht mehr. Ich habe einen neuen Freund!“
„Aber ... aber ... ich ... ich ...“
„Willst du ihn sprechen?“, knirschte sie. „Der verhaut dich! Er kann Karate!“
Schnell legte ich auf. Sah mit hochrotem Kopf zu meinen Freunden.
Die amüsierten sich königlich. Zeigten mit dem Finger auf mich. Bogen sich vor Lachen. „Unser Telefongigolo!“ und „Du bist ja ein richtiger Handystalker.“
Verärgert legte ich das Handy auf den Tisch, holte mir erst einmal ein Bier. Als ich zurückkam, hatte Klaus das Gerät in den Händen.
„Verbinde mich mit der Auskunft!“, befahl er.
„Verbinden mit Auskunft!“, wiederholte das Handy treu.
Schon meldete sich auf der anderen Seite der Leitung eine nette Mitarbeiterin. Klaus legte auf.
„Ich glaube, du machst irgendetwas falsch, mein Lieber“, kicherte er.
Ich schnappte mir das Gerät und sprach: „Verbinde mich mit der Auskunft!“
„Verbinden mit Polizei!“, antwortete dieses dämliche Ding.
Verzweifelt und panisch versuchte ich die Leitung zu kappen, doch es war schon zu spät: „Der Notruf der Polizei in Gladbeck!“
„Oh Gott!“, entfuhr es mir. „Ich wollte doch gar nicht ... Ich hatte nicht vor ... Das ist mir jetzt aber ...“
„Sie schon wieder?“, brummte der Beamte. „Jetzt ist es aber langsam nicht mehr lustig!“

Marcus Watolla

„Entschuldigen Sie!“, hörte ich mich sagen. „Falsch verbunden!“
Ich legte auf.
Resigniert betrachtete ich dieses dämliche Teil.
„Vielleicht hast du eine zu fistelige Stimme“, grinste Klaus.
„Oder du lispelst zu sehr“, kicherte Thomas.
Ich trank das Bier aus und betrachtete das Handy nachdenklich. Was machte ich nur falsch? So etwas konnte doch nicht sein!
Dann hatte ich plötzlich den Schalk im Nacken. Ich trank ein Bier auf ex, nahm das Handy, rülpste in das Mikrofon und grinste meine Freunde schadenfroh an.
Das Gerät bestätigte plötzlich: „Verbinden mit Jutta!“
Panisch starrte ich auf das Display.
„Nein! Nicht Jutta! Kommando zurück!“
„Du schon wieder?“, kreischte sie mir schon am anderen Ende der Leitung entgegen. „Na warte, du Arsch! Hier ist mein Freund!“
„Was willst du Flachpfeife von meiner Freundin?“, drohte mir da eine männliche Stimme. Sie klang echt mächtig und riesig. „Wir wissen, wo du wohnst! Ich drehe dir den Stiel aus der Birne!“
„Aber ... ich ... aber ...“
Schnell legte ich auf, tobte: „So ein Mistteil! Das ist doch Mist! Verarscht mich dieses Handy jetzt? Bestimmt! Das lasse ich mir nicht bieten!“ Ich streckte den Finger aus, drohte dem Gerät: „Du wirst mich noch kennenlernen! Du ... du ... du Schrotthandy ... du schrottiges!“
Meine Freunde amüsierten sich königlich.
Voller Wut pfefferte ich das Telefon in die Ecke.
„Verbinden mit Jutta!“, sprach es plötzlich.
„Um Gottes willen!“, entfuhr es mir, doch bevor ich bei dem Mistteil war, meldete sich meine Ex schon wieder.
„Mein Freund ist bereits zu dir unterwegs, du Vollarsch!“, drohte sie. „Dafür wirst du bluten! Niemand verarscht eine Jutta Schnippke!“
Ich legte auf, sah meine Freunde an.
„Ich muss umziehen“, bibberte ich.
Klaus betrachtete mich nachdenklich.
„Lass dich noch einmal mit Jutta verbinden.“
„Bist du irre?“
„Nein, ich habe da eine Vermutung!“
Ich nahm das Gerät, sprach: „Verbinde mich mit Jutta.“
„Verbinden mit Mutter.“
Verdattert sah ich die anderen an. Noch bevor die Leitung stand, unterbrach ich allerdings wieder. Ging zum Abfalleimer, öffnete ihn und ließ das Handy hineinfallen.
„Mir reicht es!“, rief ich. „Arrivederci, du Ding aus der Hölle!“
„Verbinden mit Polizei!“
„Nein!“
„Der Notruf der Polizei in Gladbeck!“
Panisch fingerte ich im Abfalleimer herum, bekam das Gerät aber nicht zu fassen.
„Sie schon wieder?“, knurrte der Polizist. „Ich glaube, wir schicken mal eine Streife herum!“
Ich unterbrach.
„Jetzt lande ich schon im Knast wegen dir, du verfluchtes Handy!“, brüllte ich, bar jeder Beherrschung. „Nur, weil du mich nicht magst! Was habe ich dir denn getan?“
„Verbinden mit Jutta!“
Ich brüllte wie ein Schimpanse, riss den Akku heraus und schmiss alles mit Nachdruck in die Tonne. Schwer atmend stand ich davor und starrte auf die Bauteile.
„So“, brabbelte ich, „jetzt wollen wir doch mal sehen, wer hier das letzte Wort hat ...“
Ich holte das Handy wieder heraus, setzte den Akku ein, schaltete es an.
„Du willst mich kleinkriegen? Da kennst du mich aber schlecht!“
In diesem Moment klingelte es. Ich schrak hoch. Sah meine Freunde an.
Ich öffnete. Ein Riese stand vor mir.
„Bist du Dirk?“, grunzte er.
Ich nickte.
Mit einem wohlgezielten Schlag traf er mein Nasenbein, brach es. Dann ein fieser Schlag in die Magengegend und ich lag am Boden. In panischer Furcht nahm ich mein Handy.
„Verbinde mich mit der Polizei!“, rief ich verzweifelt.
„Verbinden mit Gay-Hotline!“
„Ja? Huhu, Süßer!“, erklang es zuckersüß aus dem Apparat.
Eine wohlige Ohnmacht holte mich ein, erlöste mich aus dem ganzen Wahnsinn.