Einfach leben - Manuela Klumpjan
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- Veröffentlicht: Samstag, 13. März 2021 12:05
- Geschrieben von Super User
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Einfach Leben - Wahre Begebenheiten
Hrg. Manuela Klumpjan, insgesamt 15 EPV-Autoren
Februar 2021
Paperback, 13,5 x 20 cm, 168 Seiten
ISBN: 978-3-96174-082-6
VK: 9,95 €
Edition Paashaas Verlag, www.verlag-epv.de
Lesen Sie hier 2 Geschichten von der Herausgeberin Manuela Klumpjan:
Manuela Klumpjan ist Verlagsinhaberin beim Edition Paashaas Verlag, veranstaltet Krimispieldinner und wohnt seit vielen Jahren in Hattingen/Ruhr. So oft wie möglich ist sie jedoch in den Niederlanden mit ihrem Mann und dem Hund segeln. Sie ist absoluter Holland-Fan, was sich auch in ihren Büchern widerspiegelt.
Prioritäten
2005 hatte ich einen Motoradunfall, bei dem ich insgesamt 17 Brüche erlitt und meine Ferse abgetrennt wurde. In den ersten Wochen war nicht klar, ob ich mein Bein behalten werden könne. Doch die Ärzte taten alles für mich und machten vieles möglich, was den Kostenrahmen der Krankenkasse gesprengt hat. So lange ich aktiv mitmachen würde, würden sie ihr Bestes geben. Also kämpfte ich jede Sekunde und ließ alles mit mir machen, was die Docs gut befanden. Als sich der Zustand meiner Ferse immer mehr verschlechterte, kam ich in den sehr schmerzhaften Genuss, als 3. Testpatientin einen damals noch ganz neuen Vakuumverband auszuprobieren. Heute ist diese Technik Standard, damals war ich Versuchskaninchen … Einige Operationen später hatte es zusätzlich Komplikationen mit meinem Blut gegeben. Nun sorgte auch noch eine ständige Heparinpumpe dafür, dass es nicht verklumpte, was meinen schnellen Tod bedeutet hätte. Ein weiteres Gerät neben mir, das laut Alarm schlug, wenn etwas nicht stimmte … Diese Pumpe machte mir einfach nur Angst. Aber dank der Heparin-Pumpe und des Vakuumverbandes hatte ich keine Ausrede mehr, mich vor der Welt da draußen zu drücken. Ich musste mich der Öffentlichkeit stellen, auch auf Anraten des Arztes hin.
Nichts hasse ich mehr, als bedauert zu werden. Das gilt für damals genauso wie heute.
Also lächelte ich auch an diesem unvergessenen Tag, als nach den vielen Trainingseinheiten der Besuch kam. Als ich die mitleidvollen Gesichter der beiden älteren Damen sah, war ich wieder stark. Tränen beiseite gewischt, freudig lächeln. Alles war gut. Die beiden kannten sich und erzählten schon nach kurzer Begrüßung nur von sich. Gut für mich, so stand ich nicht im Mittelpunkt, obwohl ich mir doch ein wenig mehr Aufmerksamkeit gewünscht hätte. Schließlich lag ich hier im Krankenhaus und wusste nicht, ob ich jemals wieder ohne Probleme laufen können würde … Doch die Damen setzten andere Prioritäten wie Mittagessen, die Trockenheit im Garten, der nächste Urlaub – und natürlich die eigenen Schmerzen und Wehwehchen im Alter.
Mein Doc betrat das Krankenzimmer und forderte mich noch einmal sehr intensiv auf, endlich das Zimmer zu verlassen und auf andere Gedanken zu kommen. Grübeln helfe nicht. Das nahmen die beiden Damen sofort zum Anlass: „Nun gehen wir raus, der Herr Doktor hat es gesagt! Jetzt gehen wir alle gemeinsam in die Cafeteria. Etwas Unterhaltung wird dir guttun.“
Ich sträubte mich nicht länger, es nützte ja eh nichts. Keiner schien zu bemerken, wie unangenehm mir die viel zu knappe kurze Hose war und darunter die megapeinliche Unterhose mit Klettverschluss. Etwas anderes konnte ich dank der ganzen Gestelle in meinem Bein nicht anziehen. Eine der Damen kämmte mir freundlicherweise noch das lange Haar. Dann konnte es losgehen. Natürlich stritten sich die Damen beinahe darum, wer jetzt den Rollstuhl schieben durfte. Dass sie dabei mehrmals auch mit dem kaputten Bein gegen die Tür oder herumstehende Stühle hauten, schien keinen zu interessieren. Also ließ auch ich es unerwähnt. Schmerzen gehörten ja zu dieser Zeit zu meinem Alltag, da war so ein kleiner zusätzlicher Stoß nicht relevant. Vor dem Aufzug trafen wir auf einen weiteren Arzt, der dem Ausflug eher skeptisch gegenüberstand: „Sei vorsichtig draußen! Sonne ist absolut tabu. Und immer daran denken, wenn eine der Pumpen Alarm schlägt, ist absolute Lebensgefahr bei dir gegeben. Bei der Heparinpumpe muss die Zufuhr in 10 Minuten wieder hergestellt sein, du weißt, sonst verklumpt dein Blut. Bei der Vakuumpumpe hast du 20 Minuten Zeit, danach muss der Verband komplett erneuert werden. Also bleib im Haus und nimm es ernst!“
Mir wurde ganz komisch zumute. Sofort dachte ich an die unerträglichen Nervenschmerzen, die beim Verbandswechsel anfielen. Am liebsten wäre ich direkt umgedreht und zurück aufs Zimmer, in Sicherheit. Doch die älteren Damen hatten nur noch eines im Sinn – mich abzulenken und natürlich Kaffee zu trinken.
Draußen auf dem Vorhof des Bergmannsheils war Sonne pur, keine Chance einen schattigen Platz zu bekommen. Also schoben sie mich in den Innenraum der Cafeteria, mitten im Eingangsbereich, die Warnungen des Arztes mehr als einmal betonend. Meine Einwände, dass ich wenigstens für 2 Minuten mal frische Luft gebrauchen könnte, verhallten ungehört.
Die Damen rücken gutgelaunt die Tische um, damit ich auch sicher sitzen konnte. Dass ich bei dieser Aktion mitten im Gang saß und ständig Gefahr lief, dass andere Patienten und Besucher gegen den Fuß hauten, schien wohl in der Natur der Sache zu liegen und bereitete nur mir größte Sorgen. Dann endlich saßen alle mehr oder weniger entspannt und konnten Kaffee bestellen. Die Gespräche taten mir gut, ein wenig Alltag kehrte in mein Leben zurück. Kurzfristig vergaß ich sogar die Schmerzen und das Unbehagen, auch wenn mich viele der Banalitäten nicht wirklich interessierten. Trotzdem war es schön, unter Menschen zu sein, das Leben zu spüren, das mir oft so gar nicht lebenswert erschien in dieser Zeit.
Als ich sogar anfing etwas von meinen Zukunftsplänen zu träumen und versuchte auf meine Ängste aufmerksam zu machen, passierte genau das, was keiner wollte. Mit höllischem Lärm ging der Alarm los! Die Stromzufuhr der Heparinpumpe war unterbrochen. Ich war in akuter Lebensgefahr, wenn ich nicht innerhalb von 10 Minuten an einer Steckdose angeschlossen wäre. Ich selbst versuchte Ruhe zu bewahren. Ich kannte das Gerät und auch den Alarmton, viel zu oft war er in den letzten Tagen ertönt. Doch alle Umstehenden gerieten regelrecht in Panik. Tische und Stühle wurden ruckartig zur Seite geschoben, ein Stuhl fiel um, natürlich auf mein Bein.
Ich blieb ganz gelassen: „Hey, keine Aufregung, ich brauche doch nur eine Steckdose!“
Fluchtartig schmiss die eine der älteren Damen das Geld für den Kaffee auf den Tisch und schob mich ohne Rücksicht auf andere Patienten quer über den Gang. Sie war ganz blass geworden und hatte wahrhaft Angst um das Mädchen im Rollstuhl, um mich. Noch nie hatte ich sie vorher so schnell laufen sehen.
Ein paar hundert Meter den Gang hinunter war dann endlich auch eine Steckdose zu finden. Sofort bückte sich die eine der Damen unter den Tisch und schloss mich an. Der laute Alarm verklang.
Ich lächelte, jetzt hatte ich die gewünschte Aufmerksamkeit. Beide Damen diskutierten laut über den Vorfall und wie schlimm die ganze Situation doch sei. Da sprang die jüngere der beiden älteren Frauen plötzlich auf und ging mit beinahe geranntem Schritt den Gang zurück. Schon halb
zurückgedreht rief sie noch: „Ich hatte meinen Kaffee erst halb ausgetrunken! Mal sehen, ob er noch dort steht!“
Ich war sprachlos, die andere ältere Dame war entsetzt und lästerte so richtig über das Verhalten ab. Da kam diese zurück, krampfhaft lächelnd, denn der Kaffee war bereits abgeräumt worden …
Ich empfand unendliche Schadenfreude. So hatte dieser Vorfall doch noch etwas Gutes. Ich fühlte, dass ich noch lebte.
Um weiteren Diskussionen zu entfliehen, bat ich darum, zurück aufs Zimmer gebracht zu werden, ich fühlte mich zu erschöpft. Als ich später mit Tränen in den Augen wieder im Krankenbett lag, war ich einfach nur fassungslos, welche Prioritäten manche Leute setzen. 1,50 € Kaffeeverlust war also mehr wert, als mein Leben …
Genau in diesem Moment beschloss ich, die eigenen Prioritäten auch neu zu setzen: Diese Frau gehörte nun nicht mehr dazu, Familie hin oder her.
Manuela Klumpjan Zimteis
Es ist der 3. September und draußen sind es 31 Grad. Die Sonne knallt nur so vom Himmel. Im rückenfreien Minikleid und Espandrillos düse ich zum Aldi. Heute will ich lieber etwas Kaltes zum Abendessen zaubern. Schnelle packe ich Salat und ein paar Häppchen in den Einkaufskorb. Dazu eine Flasche Cidre, Baguette und kleine Hähnchenteile. Das reicht bei diesen Temperaturen allemal.
An der Kasse sind die riesigen Körbe bereits neu befüllt. Das komplette Weihnachtsortiment mit Lebkuchen, Printen und Marzipankartoffeln ziert den langen Gang. Selbst Nikoläuse und Kerzen mit Winterdüften freuen sich auf neue Käufer, die es nicht abwarten können.
Neben steht mir ein junger Typ in Badeschlappen und Shorts. Seine wuscheligen blonden Haare sind verschwitzt. Die Hitze ist auch an ihm nicht spurlos vorbeigegangen. Das macht ihn echt sympathisch. Wir schauen uns an und lachen. Er fragt mich ganz direkt: "Darf ich dich vielleicht auf ein Zimteis einladen?" Coole Idee, doch leider muss ich aber ablehnen. Sonst wird mein Fleisch in der Hitze noch schlecht und der Salat ist verwelkt, bevor er daheim angekommen ist ...
Diese Story ist nun schon fast 10 Jahre her, aber jedes Mal muss ich an diesen Typ denken, wenn ich wieder mal im Spätsommer an irgendeiner Kasse stehe und die Weihnachtssachen entdecke.
Inzwischen ist es eine liebevolle Tradition geworden, dass ich dann zur Kühltruhe zurücklaufe, nachschaue, was es so an Wintereis gerade schon gibt und mich danach damit auf den Parkplatz setze und einfach in praller Sonne mein Eis schlecke und der Erinnerung nachhänge.
Lieber Unbekannter, wenn du das hier liest, ich habe dich nie vergessen. Treffpunkt 3. September um 12 Uhr im Aldi, so wie damals, 2. Kasse von links?
Ich warte auf dich!